Zur Ökonomie der Illusion


Die Ökonomien der Illusion und des Vergessens sind eins.

Freitag, 11. Dezember 2015

Wir Etatisten

Man möchte ihn, als Gedanken, niemandem zumuten, aber der Populismus ist ja nicht eigentlich der Wunsch, populär zu sein, also der beständige Antrieb, dem Volk nach dem Mund zu reden, während man es von Herzen verachtet, sondern ein Themenpark, dessen Bearbeitung ansonsten der Polizei und den Gerichten überlassen bleibt, also das Verächtlichmachen Andersdenkender, die Beschimpfung des Nachbarn, mit dem man ansonsten an einem Tisch sitzt, sobald es etwas zu holen gibt, das stete Streben, für die eigene Klientel mehr herauszuholen, als bei nüchterner Betrachtung 'drin' ist, die Selbstbedienung bei vollen (oder auch leeren) Kassen, also das ganz normale Handwerk des – nein, nicht des politischen, dem Gemeinwohl verpflichteten Menschen, sondern des Menschen, der sich gehen lässt, nur eben in der Politik oder 'im Politischen', falls der kleine Unterschied auffällt. Daher handelt es sich um eine klassische Fremdzuschreibung, man kann auch sagen eine Beleidigung Andersdenkender, jedenfalls um eine Denunziation, in der Regel diktiert durch allzu große Nähe: man kennt sich, man hasst sich, man reibt sich, man hat einander intus, man möchte einander loswerden: so geschehen (und gesehen) im Fall des Linkspopulismus, der klassischen Abweichung von der dogmengesteuerten Linie nach dem Motto: Wir wollen die Zukunft jetzt.
Entsprechend könnte man es sich leicht machen und den Rechtspopulismus, wie es auch oft geschieht, unter die Parole stellen: Wir wollen die Vergangenheit jetzt. Es ist ja etwas dran, kein Zweifel, wie die 'christliche' Abendländerei immer wieder beweist. Doch sollte man bei derlei Kampfgeschrei nicht vergessen: der Antipode zum Populismus heißt Etatismus. Es wäre schön, handelte es sich dabei bloß um den Glauben an die alleinseligmachende Kraft des Staates, für seine Bürger nach dem Rechten zu sehen und ihnen die Risiken der Existenz mit Spielgeld vom Leib zu schaffen. Wie immer weist auch hier die Gruppe den Weg zur besseren Definition: 'Etatismus' meint die Okkupation des Staates durch Eliten, die den Weg zur Macht gefunden haben und um (fast) jeden Preis verhindern wollen, dass ihn jemand nach ihnen betritt.
Es ist das "Nach Ihnen!", das diesem Personenkreis zu schaffen macht, zu Recht, wie jeder versteht, denn es ergibt, aus ihrer Interessenlage gesprochen, keinen Sinn. Schließlich sind sie die Partner des Volkes und nehmen seine Belange ernst. Und sie sind, in der Regel jedenfalls, populär. Jede Umfrage, jeder Urnengang bestätigt ihr Selbstverständnis und spricht sie frei. Woher die Angst der Populären vor dem Gespenst des Populismus? Denn er ist ein Gespenst, eingesperrt ins Ghetto der Minderheit, genauer gesagt, der Mehrheits-Minderheit, jener stets existierenden Minderheit unter der Mehrheitsbevölkerung, die angesichts der Verhältnisse (und ihrer drohenden Fortschreibung) die Nerven verloren hat und nach der Wende verlangt: jetzt und hier. Diese Minderheit existiert immer, sie ist nicht gefährlich, nur in Krisenzeiten schwillt sie gefährlich an und infiziert die Mehrheit mit dummen Gedanken, unter denen der dümmste noch immer lautet: Du kannst etwas tun. Wie das? Wäre das die Quintessenz aller Gefahr? Unter Demokraten, die darin nicht die Ver-, sondern die Heimsuchung fürchten, gilt die Parole als Impfstoff, als multiples Gegengift, das in Notzeiten an die eigenen Anhänger ausgegeben wird und mit etwas Glück auf der Straße zur Randale führt, die man den anderen anhängen kann.
Das ist auch dumm, das ist auch gefährlich, denn der Populismus besitzt sein Potenzial nicht unter den Radaubrüdern, mit denen er in der Öffentlichkeit gern identifiziert wird. Der Radau ist der Nasenring, an dem der besorgte Bürger immer wieder durch die Manege gezogen wird: "Sieh zu, mit wem du dich einlässt, wenn du im Traum daran denkst, uns von den Töpfen zu entfernen!" Das funktioniert, man muss sagen, es funktioniert bei mittlerer Bedrohungslage, schwer abzuschätzen, wo der Kipp-Punkt liegt. Vor allem funktioniert es angesichts an- und abschwellender Krisen – angesichts der lastenden Dauer imminenter als Bedrohung empfundener ›Lagen‹ sollte man sich seiner Wirkung nicht sicher sein. Nüchtern betrachtet, ist es ein Rezept, um Zeit zu schinden: nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass alle Politik auf Zeit geschieht, aber alles andere als überzeugend, weil es auf die Kraft der Überzeugung verzichtet, mit der alle Politik beginnt.