Zur Ökonomie der Illusion


Die Ökonomien der Illusion und des Vergessens sind eins.

Samstag, 12. Dezember 2015

Blaue Blume Verwegenheit

In Krisensituationen gewinnt, wer zuzuspitzen versteht. Der Umkehrschluss drängt sich auf, dass ein Land (oder ein Kontinent), in dem nur noch ein Thema herrscht und das darüber in zwei Fraktionen zerfällt, sich in der Krise befindet. Nun, es gibt künstliche Krisen, das weiß doch jeder, und es gibt Krisen, in denen es töricht wäre, gewinnen zu wollen, weil sie auch dann nicht weggingen – vielleicht gerade dann nicht weggingen, weil man selbst, als kritischer Teil der Gesellschaft, Teil der Krise, vielleicht ihr Hauptverursacher ist. So begnügt man sich damit, in der Krise – soll heißen: durch sie – stärker zu werden, bis einem irgendwann, in sonnigeren Zeiten, die Macht zufällt, aus keinem anderen Grund, als weil sich die anderen an die eigene Stärke gewöhnt haben. Schließlich lässt sich niemals ausschließen, dass die herbeigeredete Krise sich eines Tages materialisiert, gleichsam vor der Tür steht und stürmisch Einlass begehrt, sie vielleicht bereits eindrückt oder -tritt: Ist sie deshalb Gerede? Eine stürmische Gegenwart setzt die Parameter der Vergangenheit neu – wer gestern noch als kurz- oder sogar stumpfsinnig galt, kann sich heute in der Aura des Weit- und Umsichtigen sonnen, der immer gewarnt hat und dessen Rezepte deshalb Prestige genießen. Dennoch werden sie nur in den seltensten Fällen übernommen. Warum? Es wäre 'zu einfach'. Es wäre zu einfach, dem verachteten Gegner von gestern, nur weil er mir gefährlicher wurde, nun auf einmal Kredit zu gewähren und ihm zu folgen. Das Gegenteil ist der Fall. Wie in den Patentkämpfen der Wirtschaft gewinnt, wer die Herkunft der eigenen Lösungen am erfolgreichsten zu verschleiern versteht. Wem angesichts der Massenflucht aus zwei Erdteilen das Wort 'Obergrenze' tabu ist, der behilft sich dann eben mit Kontingenten – nebenbei bemerkt, ein schlechtes, weil allzu durchsichtig gestricktes Beispiel, dem auf den Zuschauer-Rängen der blanke Hohn begegnet, während die Gefolgschaft sich aufs Abwarten verlegt, also auf die Gelegenheit abzuspringen, sobald das Volk nicht mehr mitzieht.
Das Volk? Welches Volk? Welche Rolle fällt in der Krise dem Volk zu?
Das kommt auf die Phase an. In der ersten versuchen die Inhaber der Regierungsgewalt, es von den Entscheidungen auszuschließen und die aufkeimende Unruhe zu dämpfen, in der zweiten, ihm 'nach dem Maul' zu reden und seinen Zorn gegen die populistischen Herausforderer zu lenken, in der dritten –
... Reden wir nicht über die dritte. Die dritte Phase, falls sie denn einmal eintritt – was zu verhüten wäre –, folgt ihren eigenen Regeln, den uralten Regeln des Hauens und Stechens, bei dem zuvor keiner weiß, ob er wieder nach Hause kommt und ob sein Zuhause dann noch steht. Es sei denn, alle verstehen einander plötzlich bei belegter Stimme und die Krise fällt, mangels Zuspruch, bis auf weiteres aus.