Zur Ökonomie der Illusion


Die Ökonomien der Illusion und des Vergessens sind eins.

Sonntag, 13. Dezember 2015

Pauken und Trompeten

Menschen gibt es, denen wurde die Trompete in die Wiege gelegt – teils, um sie nicht in die Hände der Geschwister geraten zu lassen, teils mit dem Hintergedanken, die Welt intensiv teilhaben zu lassen an dem, was da unausweichlich heranwächst – ein starkes Stück, ein ganzer Mensch. Derlei passiert und wir wüssten nicht, ob uns die Kunde vom ganzen Menschen jemals erreicht hätte, gäbe es nicht die Trompete, mit deren Hilfe ein einzelner Mensch die so wunderbar über den Planeten verteilte Luft unversehens in einen scharfen Gegenstand zu verwandeln vermag. Im Wahlkampf zum Beispiel, pardon, im Vorwahlkampf unserer amerikanischen Freunde, ist so ein Instrument ungemein nützlich, da es den gemeinen, wenngleich gutsituierten Erdenbürger im Handumdrehen zur globalen Leit- oder Hass- oder Witzfigur befördert, am besten gleichzeitig, denn Polarisierung bedeutet alles, wenn nicht im Leben, so gewiss im Leben nach der Entscheidung, ein wahrhaftiger Präsident werden zu wollen. Die Trompete von New York zum Beispiel, wir wissen nicht mit letzter Sicherheit, in welcher Werkstatt sie die letzte Politur erhielt, hat ihn gefunden, den populären Sound, er will und will sie nicht mehr verlassen und die Kritik stöhnt – das sind Glücksmomente, die sie niemals vergisst. Und es geht weiter. Der drollige, der Erfindungskraft einer Rapper-Kolonne würdige Einfall, einen Einwanderungsstopp für Muslime aus aller Welt verhängen zu wollen, bis "wir" wissen, "warum sie uns hassen", kommt dem mit Sicherheitsparanoia unterfütterten Liebeswunsch der Nation weit entgegen, so dass man sich fragen kann, warum er nicht auch für die islamische Staatenwelt gelten sollte. Vielleicht stammt die Anregung ja aus jenen Regionen und der Twitter-Ausfall eines saudischen Prinzen gegen den Kandidaten verdankt sich weniger der Sorge um die Verfassungsprinzipien des großen Verbündeten als vielmehr der Furcht vor einer kleinen Wegänderung der Flüchtlingsströme.
Die Idee der gerechten Lastenverteilung erregt den Verdacht, dass der Mensch dem Menschen eine Last sei – bei Leuten, die 'alles' aufgeben, um ein neues Leben in einem fremden Land zu beginnen, kann man zumindest das voraussetzen und eifrige Ökonomen ... werden immer Mittel und Wege finden, positive wie negative Folgen der Masseneinwanderung, vulgo Gewinn und Verlust, in wechselnden Gleichungen gegeneinander auszuspielen. Doch das wäre nur die ökonomische Seite der Sache, obgleich die Moral auch in ihnen eine bedeutende Rolle spielt. Was der amerikanische Freund in Wirklichkeit meinen mag, ist die gefühlte, gleichfalls mit Zahlen unterfütterte Unverträglichkeit der Kulturen, – kein taufrisches Argument, doch die Vehemenz, mit der es vorgetragen wird, überrascht aus dieser Weltgegend. Wenn das Land, in dem die Identitätssuche eingewanderter Ethnien zum Business gehört und an Universitäten gelehrt wird, plötzlich zu fremdeln beginnt, dann deutet sich darin – von ferne, aber mit einem Hauch von (Bürger-)Nähe – eine Kapitulation an, man mag von der Sache halten, was man will. Kapitulation bedeutet, neben allem Möglichen, die Anerkennung von Realitäten, die Ultra-Überzeugte am liebsten unter den Teppich kehren möchten, dorthin, wo auch das geübte Auge sich mit dem Erkennen schwer tut.
Kapitulation als Kampagne: das globale Publikum wartet gespannt auf den Ausgang, weniger um aufzuatmen, wenn die Prinzipien wieder einmal gesiegt haben werden, mehr um festzustellen, wie weit die Erosion von Gesellschaft in dem Land, das auf ihren Grundsätzen und zu ihrem Schutz errichtet wurde, mittlerweile gediehen ist. Yes we can – die imperiale Formel des Noch-Amtsinhabers musste zur Umkehrung herausfordern. Diesmal fordert der Unglaube den Glauben heraus, im Namen des Glaubens – und des Imperiums, das sich erschüttert zeigt.