Die beliebteste Weise, dem Wissen –
oder, je nach Blickwinkel, Nichtwissen – auf die Sprünge zu helfen, ist
die direkte, einfache, additive, geradlinige oder inverse Korrelation: in einem Land, das seinen Reichtum – nebst zugehörigem
Gefälle –, die Höhe seiner Privat- und Staatsschulden, die Zahl seiner
Homosexuellen, Bisexuellen, Genderbeflissenen, Fernreisenden,
Häuslebauer, Kinderschänder, Selbständigen, Legastheniker,
Spitzenverdiener, Hartz-IV-Empfänger, seiner arbeitenden, studierenden,
verheirateten, geschiedenen, akademischen, alleinerziehenden Frauen und
Männer in umfangreichen und unendlich kommentierten Statistiken vor den
Augen der Welt ausbreitet, nimmt es nicht wunder, all diese Zahlen,
absolut oder prozentual, mit oder ohne Fragezeichen, zur Erklärung des
Unerklärlichen herangezogen zu sehen, dessen Erklärung doch so nahe zu
liegen scheint, dass jeder Stammtisch die seine mit Leichtigkeit parat
hat. Zusammengefasst lässt sich feststellen: schuld daran, dass zu wenig
Kinder geboren werden, ist die Gesellschaft – kein Wunder, denn sie ist
immer an ihren Zuständen schuld. Die historische Forschung trägt, nicht
ungern, zur Verfeinerung des Ergebnisses bei, indem sie Jahreszahlen
bereitstellt: für die einen steht die Welt, pardon: die Gesellschaft
nach '68 kopf – eine Lage, die das Kinderkriegen einigermaßen erschwert –, für die anderen schafft die dankenswerterweise und ungefähr zur
gleichen Zeit stattfindende Entkoppelung von Sexualität und
Fortpflanzung durch die Pille den notwendigen Experimentierrahmen für
das, was als Kinderarmut auf den Seziertischen
der Gesellschaftsanalytiker liegt: Wer Kinder hat, hat nicht nachgedacht. Die Moderneforschung schließlich
fasst das alles glücklich zusammen: Moderne und Kindermangel sind eins.
Das
ist der Stand der Dinge. Wozu all die Kinder, geborene und ungeborene,
gebraucht werden, steht auf einem anderen Blatt. Arbeiterheere zum
Beispiel ... wer braucht heute noch Arbeiterheere? Arbeitslosigkeit,
gekoppelt mit Arbeitskräftemangel, verschiebt die Investition in den
Nachwuchs von der Zahl der Kinder auf die Zahl ihrer Ausbildungsjahre.
Was hier genommen wird, fehlt notwendig dort, es sei denn, man schraubt
die Ansprüche an das werte Selbst und sein Fortkommen so weit herunter,
dass Kinder Einkommen generieren, weil der Staat dafür aufkommt.
Ungerecht bleibt die Verteilung, bei der Zahl der Abseitsstehenden,
ohnehin: was als fehlende Wehrgerechtigkeit in die Geschichte des Landes
einging, bleibt ihm als fehlende Reproduktionsgerechtigkeit bis in die
Renten hinein erhalten. Warum also Kinder? Kein Mensch weiß, wieviel
Nachwuchs ein Land wirklich braucht. Am wenigsten die Wirtschaft, denn,
unter uns: es gibt sie gar nicht.