Was tun? Der Stimme der Resignation folgen, die sich gern als die der Vernunft
ausgibt? Uns ein weiteres Mal auf die Straße des Triumphalismus
begeben? Wo, bitteschön, läge der Unterschied? Und wer wohl wäre – wir? Wie gesagt, die
Religionsgemeinschaften haben nichts gegen Konkurrenz, sie belebt das
Geschäft. Sie haben auch nichts gegen den Staat, auch er belebt das
Geschäft, wenngleich aus anderen Gründen. Der laizistische Staat zum
Beispiel bietet den Vorteil, dass er klar definiert, wo die seriösen
Geschäftsfelder liegen und nach welchen Regeln sie bearbeitet werden
dürfen. Dass er damit auch eine schwarze Religiosität erzeugt, die
gewillt ist, sich – um Gottes willen – nicht an die Regeln zu halten,
nimmt er gern in Kauf, weil ... nun, weil erst sie den Kontrast ergibt,
den die Zivilreligion benötigt, um sich in Szene zu setzen. Dennoch
grenzt seine schiere Existenz an ein Wunder – kein Wunder also, dass
seine Inszenierung regelmäßig einen Abgrund an Heuchelei offenbart. Im
laizistischen Staat falten die Bewohner (um es bei der christlichen
Geste bewenden zu lassen) die Hände zweimal: vor der Brust und hinter
dem Rücken. Das stimmt auch dann, wenn ihr inbrünstig geglaubter Gott
Mammon heißt. Man könnte sagen, sie gehen von einer Geste erfrischt zur
anderen über, aber das riecht, wie vieles, nach Hypothese und klingt
fast schon gewagt.
Zur Ökonomie der Illusion
Die Ökonomien der Illusion und des Vergessens sind eins.
Samstag, 12. Dezember 2015
Die Versuchung
Es ist schon ein ziemlich verzweifelter Griff in die Mottenkiste der
Nation, die religiöse Herkunft eines Landes oder einer Kultur von Staats
wegen zu mobilisieren. Die Angebotsorientierung der religiös
empfänglichen Bevölkerungsteile bringt es mit sich, dass damit nur
Unfrieden geweckt wird – und zwar auf allen Seiten. Wer Religion will,
muss sich der Konkurrenz stellen. Die großen Religionsgemeinschaften
haben das begriffen: Herkunft, Geburt, Überzeugungs- und
Missionierungsarbeit, dazu die polarisierende Wirkung von Gewalt und
Unfrieden, soweit sie religiös bemäntelt werden, sind längst (oder
wieder) stärkere Akteure auf der kollektiven Bühne als der
homogenisierende Nationalstaat alter Schule. Das gilt auch in Ländern,
die ihn erst als Importartikel kennengelernt haben, falls er ihnen nicht
einfach von den sich verabschiedenden Kolonialmächten übergestülpt
wurde. Ein vergiftetes Geschenk, wie sich alsbald herausstellen sollte
und in einer Reihe von Ländern erneut unter Beweis steht. Denn die
Versuchung, die gute alte Versuchung des Monotheismus, ist einfach zu
groß: mit einem Staats-Gott im Rücken regiert es sich eleganter und in
vielen Fällen auch effizienter als im Sog unterschiedlicher
Glaubensrichtungen. Wenn ihr euch nicht auf einen Glauben einigen könnt, dann glaubt wenigstens an den gemeinsamen Staat:
die Formel ist zweideutig, auch ein wenig zwielichtig wie alle
Lösungen, die aus Resignation ersonnen wurden und zu triumphalen
Erfolgen führten. Denn nur der gottgefällige Staat kann einem religiösen
Gemüt die Zustimmung abringen, die man Glauben nennt und die sich in
der Opferbereitschaft des Einzelnen für die Gemeinschaft vollendet. Der
geglaubte Staat wird immer eine Art von Staats-Gott in der Hinterhand
haben. Ein Staat hingegen, an den keiner glaubt (denn die
Intellektuellen glauben nicht, sie machen glauben), ist immer
noch für viele Funktionen gut, aber er wird vermutlich aufgegeben, wenn
er am Nötigsten wäre, er ist nicht wetterfest.