Im Juni dieses
Jahres entschied der Bundesgerichtshof, die Frage einer
Grundrechtsverletzung durch die Festlegung auf eines von zwei
Geschlechtern im Geburtenregister stelle sich nicht (Az. XII ZB
52/15). Kommuniziert wurde diese Entscheidung in ZEIT ONLINE mit der
beachtlichen Schlagzeile: »Bundesgerichtshof lehnt drittes
Geschlecht ab.« Die Erfahrung lehrt, dass es höchst verschiedene
Arten – und Formen – der Ablehnung gibt. Welche Art der Ablehnung
mag dieser Titel suggerieren? Es soll Mütter geben, die es ablehnen,
ein drittes Kind zur Welt zu bringen. Manche wiederum lehnen ihr
drittes Kind ab – eine familiäre Katastrophe und eine lebenslange
Bürde für den lieblos aufgezogenen Nachwuchs.
Verzichten wir darauf, die Sache väterlicherseits durchzudeklinieren – vor dem BGH jedenfalls, so lehrt es die Schlagzeile, gibt es kein drittes Geschlecht, er lehnt es ab, gibt es vermutlich, nach misslungenem Abtreibungsversuch, zur Adoption frei, auch archaische Praktiken der Weggabe wären denkbar, stehen aber wohl nicht zur Diskussion. Kann Recht so hart sein?
Verzichten wir darauf, die Sache väterlicherseits durchzudeklinieren – vor dem BGH jedenfalls, so lehrt es die Schlagzeile, gibt es kein drittes Geschlecht, er lehnt es ab, gibt es vermutlich, nach misslungenem Abtreibungsversuch, zur Adoption frei, auch archaische Praktiken der Weggabe wären denkbar, stehen aber wohl nicht zur Diskussion. Kann Recht so hart sein?
Am 8. August war
Earth Overshoot Day, der Tag, an dem die ökologisch nutzbaren
Ressourcen des Planeten (›nature’s budget‹) für dieses Jahr
aufgebraucht waren. Seitdem herrscht Raubbau an Mutter Erde, der
Planet läuft der wirtschaftenden Menschheit durch die Finger, er
schrumpft, bildlich gesprochen, von Jahr zu Jahr. Auch dieser fiktive
Termin funktioniert wie eine Schlagzeile: falsch aber wahr.
Natürlich beginnt der Raubbau mit dem ersten Tag, mit der ersten
Sekunde jeden Jahres, wenn man davon absieht, dass er nie eingestellt
wurde, also einfach fortläuft – etwa so, wie Mutter Natur die
Produktion von sexuellen Varianten keineswegs gedrosselt oder
vorübergehend eingestellt hat, um die Entscheidung des BGH
abzuwarten. Nun lehnt der BGH die Existenz oder die –
vorübergehende oder dauerhafte – Anwesenheit von Intersexuellen
innerhalb des deutschen Rechtsraumes keineswegs ab, er verweigert
ihnen nur, aus welchen Gründen auch immer, die Möglichkeit, eine
eigene Rubrik im Geburtenregister einzuklagen. Doch ist die Parallele
darum nicht minder auffällig. Denn auch der Planet schrumpft ja
nicht, jedenfalls realiter, es gibt nur, von Jahr zu Jahr, weniger
auszubeuten. Für Leute, denen Ausbeutung an sich ein Dorn im Auge
ist, mag das eine frohe Botschaft sein, für andere, die von der
Ausbeutung leben, wirft es immerhin die Frage auf, ob es für sie
noch reicht oder ob genügend neue Planeten bereitstehen, wenn der
alte ›den Geist aufgibt‹ oder wie die entsprechende Phrase wohl
lauten mag.
So weit, so statisch
gedacht. Dynamischer denkende Mitbürger weisen darauf hin, dass die
ökonomisch und ökologisch nutzbaren Vorräte der Erde keineswegs alle erschlossen
und verbindlich erfasst sind, so dass der Earth Overshoot Day auch
in dieser Hinsicht eine Fiktion enthält. Genausowenig
lässt sich der Anteil der Intersexuellen (und
angrenzender Gruppen) an der
Bevölkerung eines Landes verbindlich beziffern, jedenfalls
solange es an angemessenen
Erfassungsinstrumenten mangelt. Ein Kann-Bestimmung, wie der
BGH sie für das Geburtenregister als ausreichend ansieht – die
Geschlechtsangabe kann
gestrichen werden –, fügt den Tatsachen zwar den Charme der
Selbstbestimmtheit hinzu, lässt
aber die Dunkelziffer
automatisch in die Höhe
schnellen. Welche
Dunkelziffer? Die Zahl der Personen, die ihr wahres Geschlecht nicht
kennen? Die Zahl derer, die ihr wahres Geschlecht zu kennen glauben,
es aber aus Gründen, von denen sie annehmen, dass sie niemanden
etwas angehen, vor ihren Mitmenschen – und selbst einem Register –
zu verbergen wünschen? Die Zahl derer, die, über die medizinischen
Fakten belehrt und im Bilde, keine Zeit oder Lust oder Gelegenheit
finden, sich auf den Weg zur Behörde zu begeben? Die Zahl derer
schließlich, die ohnehin gewillt sind, über kurz oder lang durch
einen medizinischen Eingriff den Sachverhalt zu ändern?
So
zu fragen setzt offensichtlich etwas voraus, was sich bei näherem
Hinsehen ebenfalls als Fiktion herausstellt: eine Einheitsvorstellung
von Sexualität und Gender, die weder den biologischen
noch den sozialen noch den mentalen Gegebenheiten entspricht. Man
braucht
nicht der Mein-Geschlecht-bestimme-ich-Fraktion angehören, um im
Laufe seines Lebens in die Lage zu kommen, sein Geschlecht zwar nicht
definieren, wohl aber mit
individuellen Akzenten versehen zu müssen, die, statistisch
betrachtet, so individuell nicht sind. So
wenig der Bedarf der Menschheit an Rohstoffen für alle Zeiten
demselben Muster folgt, so wenig lässt
sich gelebte Sexualität an den Einträgen ins Geburtenregister
ablesen. Während die
Dunkelziffer an Rohstoffen und verwertbaren Naturprozessen,
verglichen mit den bekannten Kennziffern des geschundenen Planeten,
vor allem eines bedeutet –
Aufschub –,
verheißt die geschlechtliche
Dunkelziffer demnach etwas
völlig anderes: ein Plus an Forschungsthemen, -etats, Planstellen,
Sollstellen, rechtlicher,
medizinischer,
psychologischer, sozialer
Auf-, Vor- und Nachbereitung,
Diversität der Lebensstile,
gesellschaftlicher und politischer Repräsentanz und
Präsenz etc., das letztlich
durch ein Plus an Produktion erwirtschaftet und
durch ein entsprechendes Plus an Konsum abgefackelt
werden muss.
Das
mag ironisch klingen, ist aber eher
resignativ gemeint. Die
progressive Entdeckung und Ausbeutung menschlicher Ressourcen, die
unter der Einheitsdecke konventioneller Begriffe und Lebensstile
schlummern, besitzt in
den hochtourigen Ökonomien des Westens (und Ostens)
neben dem emanzipatorischen Zugewinn an Lebenslust und
Gestaltungs-Spielräumen eine
konsumistische Ader,
die,
Dunkelziffern hin oder her, statistisch gesehen dazu beiträgt, den
Earth Overshoot Day
Jahr für Jahr etwas früher
eintreten zu lassen, während das Lebensgefühl frisch emanzipierter
Gruppen und Grüppchen das genaue Gegenteil zum Ausdruck bringt, da
sie sich in besonderer Weise mit dem Leben des Planeten im
Einklang wissen. Wie viele
(noch zu entdeckende)
Formen
des Andersseins verträgt der
Planet? Wir wissen es nicht und werden es wohl
niemals wissen. Selbst
das Bedauern für diejenigen, die es, so
oder so, zu spüren bekommen
werden, wirkte gezinkt angesichts von Bevölkerungswachstum,
Aufholökonomien und Migrationsbewegungen, die als Problemverstärker
ersten Ranges das Leben aller
verändern.