Das EU-Narrenrennen nimmt, in gehörigem zeitlichem Abstand zum Brexit-Votum, wieder
Fahrt auf. In einem Welt-Interview forderte der
luxemburgische Außenminister Jean Asselborn den vorübergehenden
oder notfalls endgültigen Ausschluss Ungarns aus der EU. Der Zaun, den Ungarn baue, um Flüchtlinge abzuhalten, werde immer
länger, höher und gefährlicher. Ungarn sei nicht mehr weit weg vom
Schießbefehl gegen Flüchtlinge. Um dem zu begegnen, sollte nach
seiner Vorstellung, möglichst mit tätiger Beihilfe der Ungarn, der
EU-Vertrag geändert werden, damit die lästige Einstimmigkeit
endlich vom Tisch kommt, ohne die in puncto Rauswurf nichts geht.
Nicht schlecht! Dazu ein Zitat aus dem Luxemburger Wort
vom 8. März 2016: »Die Anzahl der gestellten Asylanträge ist im
Februar im Vergleich zum Vormonat deutlich zurückgegangen.
Beantragten im Januar 245 Menschen im Großherzogtum internationalen
Schutz, waren es im Februar etwa halb so viele Personen.« Das
folgende Zitat hat nur indirekt mit dem Großherzogtum, umso mehr mit
Europa zu tun: »Um Flüchtlinge davon abzuhalten, im
nordfranzösischen Calais auf Lastwagen nach Großbritannien zu
gelangen, soll der Hafenzubringer demnächst mit einer Mauer
abgeschirmt werden. Das kündigte der britische Staatssekretär für
Inneres, Robert Goodwill, bei einer Sitzung des Innenausschusses im
britischen Parlament an. ›Wir werden sehr bald damit anfangen,
diese Mauer zu bauen. Wir haben die Zäune gemacht, jetzt kommt die
Mauer‹, sagte er bei der Sitzung am Dienstag. Nach Angaben aus
Paris hat London seit 2014 bereits 100 Millionen Euro für
Sicherungsmaßnahmen am Hafen und am Ärmelkanaltunnel
bereitgestellt. Das einen Kilometer lange und vier Meter hohe Bauwerk
soll das als ›Dschungel von Calais‹ bekannte Flüchtlingslager
von der Zufahrtsstraße abschirmen und rund 2,4 Millionen Euro
kosten. Vereinbart wurde der Bau der Mauer bereits im März, die
Arbeiten sollen Ende des Jahres abgeschlossen sein, teilte das
britische Innenministerium mit.« (VerkehrsRundschau vom 7. September
2016) Im ›Dschungel von Calais‹ leben gegenwärtig laut Wikipedia
geschätzt etwa 9-10.000 Flüchtlinge aus Afghanistan,
Pakistan, Eritrea, Äthiopien, Sudan und Syrien, deren einziges
erklärtes Ziel die Einreise nach Großbritannien darstellt. –
Drittes Zitat: »Die Grenzzäune in Ceuta und Melilla sind inzwischen
sechs Meter hoch. Kilometerlang schotten sie Spanien vom Rest von
Afrika ab. Selbst auf der marokkanischen Seite gibt es inzwischen
einen gut zwei Meter hohen dritten Zaun, zumindest in Melilla. Jedes
Jahr versuchen tausende Menschen aus Schwarzafrika, die Zäune zu
überklettern. Viele verletzen sich dabei lebensgefährlich,
Knochenbrüche durch Stürze und Schnittwunden von den messerscharfen
Klingen an der Zaunspitze sind eher die Regel als die Ausnahme.«
(Deutschlandradio Kultur vom 21. 10. 2015)
Mehr davon?
Man ist geneigt, dem ungarischen Außenminister nicht bedingungslos
zu widersprechen, der seinen Kollegen postwendend als ›Hohlkopf‹
titulierte. Praktisch wäre es immerhin, die Anteilseigner wandelten
das Europa der Römischen Verträge in eine Briefkastenfirma mit Sitz
im Großherzogtum um und ließen die Visegrád-Habenichtse
(Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) mitsamt den Arbeitspopulationen
West- und Mitteleuropas gleich außen vor, was immer das heißen mag.
Als Gemeinschaftsemblem des neu gegründeten Unternehmens sollte das Großluxemburgische Narrenwappen mit goldenem Doppelgreif über rot-schwarzer Löwengrube im weißen Barmherzigkeitsmantel auf allen
Geschäftspapieren der Union prangen: endlich ein zugkräftiges
Symbol, das nicht länger durch Sterngucker und Hartwährungs-Freaks
fehlinterpretiert werden kann!
Auch die Kölner wären glücklich. Von der Last befreit, die Narrenmetropole Europas
zu mimen, könnten sie sich während der nächsten zwei Jahrzehnte
der Dampfreinigung ihres Bahnhofsvorplatzes widmen und den
heißgeliebten Dom zum Fernbahnhof ausbauen, der in den Hirten- und
Hintergedanken ihres geradspornigen Kardinals schon lange
herumgeistert. Die Strecke Köln – Luxemburg: ein Katzensprung. Es
sei denn ... es sei denn, die Jecken hielten den monumentalen
Gotteskasten eisern besetzt bis zum Tage der Wiederkunft des Herrn.
Alaaf!
Ungarns Regierungschef Orbán, der nicht so lang warten möchte, hat mehrfach Europas Hofnarren den Krieg erklärt, ohne auf mehr zu stoßen als
auf taube Ohren. Das ist schade, denn der Ministerpräsident, ein
vorzüglicher Redner, verdient es keineswegs, dass seine Auftritte
eilfertig von notorischen Gedanken- und Sprachverkrüpplern
überschrieben werden, bevor die ersten Übersetzungen eintreffen.
Auch im deutsch-luxemburgisch-ungarischen Medienkrieg gilt, wie
stets: Recherchiere die Anteilseigner! Das geht schnell und lässt
kein Auge trocken. Europa ist Herzenssache und Macht ist ... sagen
wir ... eine Sache der Konzentration. Wie hieß es im Deutschland der
frühen 90er Jahre? »Die Mauer in den Köpfen muss weg.« Diese
Mauer trägt heute die Namen von Medienkonzernen, wer immer
sie einzureißen versuchte, er bekäme rasch eine gehörige Ahnung
davon, wie moderne Selbstschussanlagen in der Wissensgesellschaft
ihren Dienst erfüllen.
Genug davon!
Herr Orbán sagt… Was sagt er denn? Er sagt – in Bezug auf die Brüsseler Regelungen
in Sachen Umverteilung, Obergrenze und Familiennachzug von
Flüchtlingen –: In einer Zeit, in der sich in der Welt
Veränderungen mit gravierenden Auswirkungen auf Europa und Ungarn
vollziehen, haben wir Europäer noch keine Entscheidung darüber
gefällt, was wir zu tun gedenken. Wir müssen die Frage beantworten,
ob wir Nationen bleiben oder Europa vereinigen wollen. Wir müssen
uns entscheiden, ob wir Familien und Kinder wünschen oder ob wir
unfähig sind, zwischen Mann und Frau zu unterscheiden. Und jetzt,
anlässlich des sechzigjährigen Jubiläums der Römischen Verträge, müssen wir die Frage beantworten:
Besitzen wir überhaupt gemeinsame Werte?
Das, wofür
unsere heutigen Gegner stehen, hat nichts mit den Ideen
der großen Vorgänger-Europäer gemein. Was sie
repräsentieren, ist purer Nihilismus – ein Nihilismus, der sich
der Welt und der europäischen Institutionen zu bemächtigen
anschickt. Vertreten wird er durch Leute wie Juncker, Verhofstadt und
Schulz. Wie István Csurka einst über den Bund
freier Demokraten sagte (womit er präzise den Punkt traf): diese
Leute wollen keine Wahlen gewinnen, sie wollen die Jury
sein – genauso hat die nihilistische Elite im System
der europäischen Institutionen sich in die Position
der Jury begeben. Sie verhindern die Diskussion
über Werte zugunsten politisch korrekter Lügen… Es mag
befremdlich klingen, aber das britische Ausscheiden aus der EU
beschert uns eine ausgezeichnete Gelegenheit darüber nachzudenken,
welche Art Elite von einem Land mit 65 Millionen Bürgern
zurückgewiesen wurde. (frei wiedergegeben nach: The Budapest
Beacon, 12. September 2016)
Er sagt in dieser
Rede noch mancherlei, der Herr Orbán, dem man eine gelenkte Presse
zum Vorwurf macht, darunter wenig Schmeichelhaftes über deutsche
Meinungsfreiheit im Jahre 2016, vor allem aber macht er klar, dass
die Hinauswurf-Zeiten in Europa ein für allemal vorbei sind. Dieses
Land ist Europa, nicht weniger als das winzige Luxemburg, nicht
weniger als das leadership-süchtige Deutschland, nicht
weniger als die allzu selbstsicheren Verwalter von Visionen, die vor
allem durch das Schielen nach immerwährenden Pfründen zustande
kommen, während die Zahl der Gläubigen in allen Ländern der Union
unter die Schmerzgrenze fällt. Wer glaubt, es handle sich um ein
lästiges Insekt, das sich bequem abschütteln lässt, wird umdenken
müssen. Wer Europa will, muss sich darauf einlassen, dass es
existiert.