»Ehrlich gesagt, nie wäre ich auf die Idee gekommen, eines Tages
dem Papst – the pontiff, wie ihn sein angelsächsisches
Publikum gelegentlich mit einem Anflug von Sarkasmus nennt – ein sonniges Gemüt
zu bescheinigen. Der Kontrast zum Dalai Lama lässt sich nicht
einfach mit ein paar Weihwasserspritzern beseitigen. Er gründet tief
in den religiösen Kulturen, die, zum Kummer mancher Zeitgenossen,
nur im Plural zu überleben scheinen. Die eine Religion geht in die
Tiefe, die andere in die Höhe, die dritte in die Weite, bei der
vierten wird’s eng... Daran wäre nichts auszusetzen, wenn ihre
Vertreter sich der Tonlage ihrer Botschaft ständig bewusst blieben. Ob, was aus Rom zu
vernehmen ist, es mit den Interviews Seiner tibetanischen Heiligkeit
aufnehmen kann, steht freilich auf einem anderen Blatt. – Sie hören
mir zu?«
»Keine Zeit. Wie
meinen Sie das?«
»Ich wusste, dass
Sie mir zuhören würden. Auf seinem jüngsten Flug nach Polen hat der Papst
einige bemerkenswerte Sachen gesagt: dass Krieg herrsche, dass man
sich nicht fürchten solle, es auszusprechen, dass es kein
Religionskrieg sei, sondern ein Krieg um Interessen, Geld,
Bodenschätze, Herrschaft, dass nicht Religionen den Krieg wünschen,
sondern die anderen...«
»Was soll daran
falsch sein?«
»Nichts.
Vorausgesetzt, wir einigen uns darauf, wer die anderen sind.«
»Nun … die
schlimmen Finger, die Ungläubigen, die Geldleute, die Materialisten,
die Atheisten, die Skeptiker, die Abtrünnigen, die Abgefallenen, die Satanisten,
die Religionsverächter, die Nudisten, was weiß ich, sie sollen
schmoren...«
»Nanana. Sie
meinen, die hat er alle gemeint?«
»Nun, vielleicht
nicht in der Reihenfolge, nicht in der Deutlichkeit, aber der Tendenz
nach … würde ich sagen, ja.«
»Ich sehe, Sie
wissen noch nicht, was er auf dem Rückflug gesagt hat. Er hat
gesagt… Glauben Sie, Ihre Uhr kann Sie irgendwie beschützen? Ein
Talisman? Interessant. – Wie ich schon sagte, er hat gesagt, er
denke, es sei weder richtig noch wahr, den Islam mit Gewalt zu
identifizieren.«
»Hört sich gut an.
Finde ich auch.«
»Richtig. Er hat
gesagt, er denke, in jeder Religion gebe es eine kleine
fundamentalistische Gruppe. Auch bei uns.«
»Sehr richtig.«
»An wen denken Sie?
Sinn Féin?«
»An wen?«
»Auch gut. Aber
dann kommt’s. Wenn ich – also er – morgens in die Zeitung
schaue – Seine Heiligkeit weilt in Gedanken bereits wieder in Rom –,
dann sehe ich – wieder er – diese ganze Gewalt
hier in Italien: da
bringt einer seine Freundin um, der andere seine Schwiegermutter,
alles getaufte Katholiken...«
»Die Hitze, ich
sage Ihnen, das ist die Hitze. Sehr auffällig in einem Land wie
Italien. Mediterrane Kultur, wir Nordmenschen lieben das sehr.
Praktischerweise können die meisten Touristen kein Italienisch und
die meisten Italiener kein Englisch. Der Papst natürlich...«
»Hören Sie auf.
Wann waren Sie das letzte Mal in Italien?«
»Vor 25 Jahren. Ich
kann mich gut erinnern: In Pisa schimpfte der Friseur wie ein
Rohrspatz über die afrikanischen Illegalen, die den Strand mit
Einwegnadeln pflastern würden. Eine Schande für die Behörden. Und
dass endlich Schluss damit sein solle. Schon der Familie wegen.«
»Sein Sohn handelt heute
mit Drogen. Der Papst sagt: Wenn ich über islamische Gewalt rede,
muss ich auch über katholische Gewalt reden.«
»Interessant. Wo
hat er das her? Ich meine, redet er über mexikanische Drogenbosse?
Kämpfen die Kerle etwa für die Weltherrschaft der Ecclesia? Ah, ich verstehe … deshalb will Trump die Mauer
bauen. Kluger Scheitel.
Völlig irre. Aber sagen Sie – all diese katholizistischen
Anschläge auf öffentliche Gebäude, auf Kirchen, Moscheen,
Polizeiposten, Shopping Malls, Baumärkte, Supermärkte,
Rockfestivals, Touristenhotels, auf einsame Surfer – warum zum Teufel redet
eigentlich niemand davon? Bilder, die uns zuinnerst verwunden und auf ewig
traumatisieren würden – warum sieht man nichts dergleichen? Warum liest man
nichts darüber? Warum wird dieser Stoff uns von Medien und
Politikern dauerhaft vorenthalten? – Halt, sagen Sie nichts. Sagen
Sie nicht, die Freimaurer. Mit Freimaurern kenn ich mich aus. Die
sind selbst im Fadenkreuz. Im übrigen gibt es kaum welche. Der AfD trau’
ich es, ehrlich gesagt, nicht zu. Die sind nicht so weit. Also: Wer
erteilt solche Verbote? Vor allem: Wer setzt sowas durch? Ah, ich
verstehe, la Mafia. Omertà. Es sind die Drogen. Hören Sie,
es sind die Drogen.«
»Jetzt echauffieren
Sie sich.«
»Ich teile die
Erregungen meines Volkes. Kommen Sie, Sie haben noch etwas in petto.«
»Ich nicht. Haben
Sie die Rede von diesem komischen General auf dem
Nominierungsparteitag der amerikanischen Demokraten gehört? Nein?
Ich schon. Hard stuff. Sollten Sie sich reinziehen.«
»Was sagt er denn?«
»Ach nichts. Etwas
wie: wir sind anders. Und dass er Clinton auch den
Einsatz von nichtmilitärischen Mitteln zutraut.«
Mein Nachbar. Aber
Sie kennen ihn ja bereits.