Zur Ökonomie der Illusion


Die Ökonomien der Illusion und des Vergessens sind eins.

Donnerstag, 13. Juli 2017

Die Weltenretter und ihr Eigentum


Zunächst: Nichts ist passiert. Keinem Regierungschef der G20 wurde ein Haar gekrümmt, keines der zahllosen mit angereisten Delegationsmitglieder musste irgendein durch Fremd- oder Selbsteinwirkung entstandenes Ungemach erleiden, das kritikwürdig oder auch nur -fähig genannt werden könnte, kleinere Unpässlichkeiten, entstanden durch Alkoholgenuss oder falsche Kost oder nächtliche Eskapaden, tangierten nicht das allgemeine Bewusstsein.

Freitag, 30. Juni 2017

Pfötchengeben mit Trauzeugin


Dass Ehe und Familiengründung durch Zeugung von Nachwuchs nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben, erhellt besonders anschaulich § 1307 BGB, der lautet: »Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern. Dies gilt auch, wenn das Verwandtschaftsverhältnis durch Annahme als Kind erloschen ist.« Paragrafen lassen sich ändern, das ist wahr, aus parlamentarischer Inzucht folgt, jedenfalls in ein und derselben Legislaturperiode, weder logisch noch sachlich die biologische.

Dienstag, 20. Juni 2017

Phil & Phob. Islamexperten unterwegs


Jeder kennt sie, die Mitreisenden, deren lautstark geführtem Gespräch niemand im Abteil entrinnen kann. Diese zwei, ich nenne sie Phil & Phob, reisten, wie es aussah, ohne Gepäck. Sie tranken Kaffee aus Pappbechern und scherten sich nicht um die verkniffenen Gesichter in ihrer Umgebung. Niemand holte den Schaffner. Nur eine Mutter musterte sie erschrocken und zog ihr Kind mit sich fort. Es herrschte Meinungsfreiheit.

Samstag, 17. Juni 2017

Ach Helmut –


leicht fällt es mir zuzugeben, dass ich dich noch niemals geduzt habe, auch nicht gedenke, es ein weiteres Mal zu tun. Aber nun, da du tot bist und es mit aller Siezerei ein Ende hat, soll es einmal so sein. Nein, du hast mir nicht imponiert, damals, als du dein Amt als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland das erste Mal antratest, deine ›geistig-moralische Wende‹ schielte allzu sehr auf die geistig und moralisch zu kurz Gekommenen, und deine Sprache… Ich würde gern über deine Sprache sprechen, doch etwas hindert mich daran, es zu tun. Was könnte das sein? Ja, sie war mir peinlich, nicht mir allein, sie war damals vielen peinlich, die etwas von öffentlicher Sprache, überhaupt von Sprache verstanden. Kein deutscher Kanzler hat vor dir so gestammelt, sich so im Metapherngewirr verheddert, so schräg formuliert – heute, vor dem Hintergrund dessen, was sich in deiner Nachfolge eingerichtet hat, liest sich das meiste davon ganz passabel, vor allem vernünftig, es hat, historisch gesehen, an Vernunft gewonnen, was es an Plattheit … nein, nicht eingebüßt hat, da sei der Sprachgeist Goethes, Heines und Helmut Schmidts vor. Was dann?

Dienstag, 13. Juni 2017

Deutschland En Marche!


Das Bismarck-Wort vom mangelnden zivilen Mut der Deutschen macht wieder die Runde. Dabei wird es durch den bloßen Augenschein widerlegt. Zu keiner Zeit haben Leserbriefschreiber in Nachkriegsdeutschland – im Netz vornehm ›Kommentatoren‹ genannt – die Artikelschreiber der Mainstream-Medien so couragiert und energisch auf ihre journalistische Sorgfaltspflicht und die eklatanten Mängel ihrer Weltbeschreibung – von anderen Defiziten abgesehen – hingewiesen wie heute. Zu keiner Zeit allerdings sind ihre Auslassungen so vehement an der vornehmen Gleichgültigkeit der schreibenden Zunft abgeprallt wie heute – was sich leicht durch deren heroischen Kampf gegen das Gespenst namens ›Populismus‹ erklärt, dessen Hauptsünde darin besteht, dass er dem Volk aufs Maul schaut und ihm, wann immer es passt, nach dem Maul redet.

Freitag, 2. Juni 2017

German Hetze


Ich bin es leid, mit Trump-Kritikern über Trump zu diskutieren. Warum? Weil sie nicht über Politik reden wollen, sondern über Trump.
Ich sehe keinen Grund, weshalb ich über Trump diskutieren sollte. Ich kenne den Mann nicht, bin ihm nie begegnet. Ich habe keinen Grund, auf ihn sauer zu sein. Er hat mir keinen Gebrauchtwagen verkauft, er hat mir keine Frau ausgespannt, er hat mich nicht betrogen, ich habe seine Universität nicht besucht – und wenn schon, sie wäre nicht schlechter gewesen als andere auch in God’s own country.

Freitag, 26. Mai 2017

Die Katze lässt das Mausen nicht oder: So gewinnen wir die Wahl!


Wenn ich, Siebgeber, mich einst dessen brüstete, den letzten nichtkomponierten Udo-Lindenberg-Schlager geschrieben zu haben, der das Zeug zum Welt-Bestseller besaß, so mache ich mich heute anheischig, dem Wahlprogramm einer der im Bundestag vertretenen Parteien (ich verrate nicht, welche, und rechne auf den gesunden Selbsterhaltungsdrang ihrer Spitzenpolitiker) die dringend benötigten Glanzlichter aufzusetzen. Keiner drängt sich zu so einer Arbeit, aber wie der Wattprediger zu heucheln pflegt: Wat mutt, dat mutt.

Freitag, 19. Mai 2017

Die USA schulden der Welt eine Regierung


Schulden sie? Schulden sie der Welt irgendetwas? Nun ja, es gibt Gläubigerstaaten, die darüber genaue Bilanzen führen. Aber eine Regierung? ›America first‹ hieß die Wahlparole des amtierenden Präsidenten und alle Welt, allen voran die jetzige Opposition, schüttete sich darüber aus. »Amerika steht in der Verantwortung« tönte es von diesseits des Atlantik, bevor man seine Aufwartung machte, manches Statement klang hässlicher, weit hässlicher, aber das scheint, wie üblich, bereits halb vergessen. Mancher nicht ganz Gedächtnislose hat noch die Stimme Obamas im Ohr, der sein Amerika auf den american exceptionalism einschwor, das gott-, natur-, macht-, ideen-, präsidentengegebene Recht, überall auf dem Planeten einzugreifen, ohne sich darin durch bestehende Verträge, Völkerrecht und gute Sitten lange aufhalten zu lassen, wenn … was es erforderlich macht? Amerikas vital interest, wie der Kongress, allen voran natürlich die Partei des heutigen Präsidenten, ihm zu gegebener Zeit einzuschärfen wusste.

Donnerstag, 20. April 2017

Fac ten Chek oder Die Eskapade


Fac ten Chek war bekannt, dass im Westen eine Lehre kursierte, der zufolge jeder Lebende am Elend seiner Mitlebenden, aber auch der Toten Schuld trug, eine Schuld, die sich nicht auf Verwandte und Genossen begrenzen ließ, nicht auf die Stadt und nicht auf das Land, in dem man geboren war oder in dem man lebte, nicht auf den Kontinent, der einen trug oder auf die Vorgängergeneration, von deren Leistungen man zehrte und deren Schandtaten man auszulöffeln hatte, nicht auf die Generation davor und nicht auf die Jahrhunderte davor, soweit sie der eigenen Geschichte zugerechnet wurden, nicht auf die Zivilisation, der man angehörte, und nicht auf die Menschheit, als deren Teil man sich verstand, eine schlechterdings unbegrenzte, bis an die Grenzen des Universums vorstürmende, vor keiner Lebensform Halt findende Schuld –: ihm war bewusst, dass es sich dabei keineswegs um eine Geheimlehre handelte, eine Verschwörungstheorie oder dergleichen, sondern um das unverrückbare Fundament ihrer Lebensform, das ›eigenste Eigene‹, die Schwäche, die zur Stärke geworden war und sich die Erde untertan gemacht hatte, die jetzt unter der eigenen Stärke litt und die längst dahingeschmolzene oder langsam schwindende Herrschaft über den Rest der Welt – beide Deutungen existierten berührungsfrei neben- und durcheinander – in die Auszeichnung dieser Schuld investierte, in einen Kultus, bei dem, wie zur Zeit der Hexenprozesse, der geringsten Handlung eines Einzelnen, dem Kosmetikkauf eines Schulmädchens, dem Autobahnspurt eines Sportwagennarren, dem Tagebucheintrag eines Bloggers magische Fernwirkungen zugeschrieben wurden mit der Macht, den Gang der Menschheit zu verändern und über das Schicksal der Erde zu entscheiden.

Dienstag, 18. April 2017

Flanke des Entsetzens


– Wohin geht die Türkei?
– Ins Gefängnis.
Manchmal liegt der Schmäh in der Situation, ihn herauszukitzeln bedarf es nur des einfachen Worts. Allenfalls ließe sich eine Beobachtung anschließen, die für alle Vereinfacher gilt, gleich welcher Couleur und welcher Ausstattung:
– Was tut sie da?
– Sie besucht die Verwandtschaft.
Die neue Verwandtschaft ist bereits da, ein sentimentales Wiedersehen wird da gefeiert, Champagner fließt in Strömen und alle guten Freunde sind, wie gerufen, zur Stelle.
Was möchte man hören? Bestenfalls nichts, allenfalls die halbe Wahrheit, die ganze ist konfisziert, sie gehört den Machthabern, die sie nach Gutdünken einschenken oder zurückhalten.

Samstag, 8. April 2017

Narziss(t)enkrieg


Wer die moderne Narrenschrift an der Wand zu entziffern versucht, stößt früher oder später auf den ›Narzisst‹. Ein Groteskwort, kein Zweifel, von bildungsfreien Psychologieprofessoren in den Rang einer Krankheits­bezeichnung erhoben, die seither unerbittlich nach Patienten Ausschau hält, als gäbe es nicht genug davon in der von ihnen betreuten Welt. In diesem Fall ist das Wort die Krankheit und sein öffentlicher Gebrauch eine Epidemie. Der amerikanische Wahlkampf hat das Wort boomen lassen: Narzisst ist, wer nach einem erfolgreichen Unternehmerdasein den vermutlich raffiniertesten Wahlkampf des Jahrhunderts hinlegt und es wider alle Wahrscheinlichkeit schafft, damit Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Das ist doch einmal eine handfeste Auskunft, auf die sich bauen lässt.

Dienstag, 4. April 2017

Die Freiheit des Andersdenkenden


»Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden.« Nun prangt sie wieder, die Rosa Luxemburg-Parole, an Berlins Litfasssäulen, mit Genehmigung der Behörden, wie man annehmen kann, und ein paar Zuschüsse mögen auch geflossen sein. Aber stimmt, was da prangt, als sei es direkt aus dem deutschen Hausschatz der gefühlten Zitate geflossen? Jedenfalls klingt es gut, es klingt tolerant, es klingt sogar, als enthalte es eine Einladung, darüber nachzudenken, wie nahe dem Bankrott eine freie Gesellschaft siedelt, die solche Sätze im öffentlichen Raum präsentiert, als müsse der Bürger von morgens bis abends damit berieselt werden. Warum? Steht er in permanenter Gefahr, den Mitmenschen neben ihm, der eine andere Meinung vertritt, der Freiheit zu berauben, etwa, indem er ihn an der nächsten Polizeidienststelle abliefert? Was würde dort wohl mit ihm geschehen? Kerker? Folter? Schlimmeres?

Donnerstag, 23. März 2017

Sie nennen es Treue


In »LTI – Notizbuch eines Philologen« erwähnt der Dresdner Romanist Victor Klemperer, der 1945 nur knapp der Deportation ins Todeslager entrann, eine Bemerkung des Germanisten Wilhelm Scherer (1841-1886), die ihn während der Nazijahre »frappierte und in gewissem Sinn erlöste«. Klemperer zitiert: »Maßlosigkeit scheint der Fluch unserer geistigen Entwicklung. Wir fliegen hoch und sinken um so tiefer. Wir gleichen jenem Germanen, der im Würfelspiel all sein Besitztum verloren hat und auf den letzten Wurf seine eigene Freiheit setzt und auch die verliert und sich willig als Sklave verkaufen lässt. So groß – fügt Tacitus, der es erzählt, hinzu, ist selbst in schlechter Sache die germanische Hartnäckigkeit; sie selbst nennen es Treue.«

Samstag, 18. März 2017

Das Weltsummenspiel


Es fällt schwer, gut zu sein, wenn die anderen böse sind. Andererseits fällt es leicht, böse zu sein, wenn die anderen böse sind. Fällt es leicht, gut zu sein, wenn die anderen gut sind? Man sollte meinen, es sei das Leichteste, aber kompliziert, wie der Mensch nun einmal ist, gerät er just an dieser Stelle ins Grübeln. Wäre es nicht möglich, denkt er, dass wir uns alle täuschen? Dass unser Gutsein nichts weiter ist als ein Handtuch, das wir uns vorhalten, um nicht zu sehen, was ist? Wir alle waschen gern unsere Hände in Unschuld.

Montag, 6. März 2017

Trauben vom Bosporus


Er hat es getan. Und er wird es wieder tun – darauf ist Verlass. Von Erdogan und seinen Ministern mit Nazi-Vergleichen belegt zu werden, verwundert die Deutschen mehr als dass es sie kränkte: »Wie? Das kommt von dem? Selber Fascho!« Mehr fällt ihnen dazu nicht ein und das ist der Grund, aus dem er es wieder tun wird. Immerhin ist es ihr liebstes Spiel und Erdogan will, was er immer schon wollte – mitspielen. »Platz dem Spieler! Keine Exklusion! Null Toleranz! Weg mit den Faschisten!« Selbst Franco hätte das verstanden. Auf dem Weg an die Macht stören die Schreier, aber sie stören nicht allzu sehr, vorausgesetzt, man versteht ihr eigenes Geschrei gegen sie einzusetzen.

Montag, 27. Februar 2017

Babel Fake Speech


»Bedienen Sie die Illusionen der Menschen und Sie werden –«
»Reich?«
»Ja vielleicht.«
»Berühmt?«
»Mag sein.«
»Bedeutend?«
»Warum das?«
»Was dann?«
»Unterbrechen Sie mich nicht, dann erfahren Sie alles der Reihe nach. Sie werden...«
»Lassen Sie mich raten! Gebraucht?«
»… der Missverständnisse nicht mehr Herr, die Sie damit auslösen.«
»Das hört sich vernünftig an. Aber das weiß doch jeder.«
»Sie vielleicht. Sind Sie jeder?«
»Ich? Wie kommen Sie darauf? An wen denken Sie?«
»An allerlei. Zum Beispiel hat die Bundesregierung…«

Mittwoch, 22. Februar 2017

Der schwedische Freund


Medientheoretikern sollte die Bemerkung, die dem amerikanischen Präsidenten über das Einwanderungsland Schweden entschlüpfte, ein gefundenes Fressen sein – nicht, weil der dahinterstehende Sachverhalt ihnen zu denken gäbe, sondern weil sie so plastisch den Satz illustriert, den man in dieser Sparte so gern als theoretischen Urknall zelebriert: Das Medium ist die Botschaft. Leicht formalisiert und wenig wahlkaumpftauglich aufbereitet, sagte der Präsident: ›Es gibt, als Folge unkontrollierter Masseneinwanderung, mehr Kriminalität auf Europas Straßen, mehr Vergewaltigungen, Diebstahl und Aufruhr, eine Häufung terroristischer Ereignisse und die gestrige Sendung über Schweden, die uns die Augen über das Musterland der nördlichen Hemisphäre öffnete, über das wir uns bisher nur hehre Vorstellungen machen durften.‹

Sonntag, 19. Februar 2017

Freiheit und Analogie


Was ich über Analogie schrieb, bedeutet nicht, dass es dumm sei, in Analogien zu denken oder dass am Ende die Analogie selbst dumm sei – zweifellos gibt es genügend dumme Analogien und richtig ist, dass, wer ihnen aufsitzt, am Ende der Dumme ist. Vielleicht sollte man strikter, als das in der Regel geschieht, zwischen strategischen und taktischen Analogien unterscheiden. Die meisten Analogien, die dem Leser aufgetischt werden, sind taktischer Natur: schnell hingeschrieben, meist zu denunziatorischen Zwecken, und ebenso schnell vergessen: Das ist ja wie ––…

Samstag, 18. Februar 2017

Wahl ohne Wahl


»Es war ein spezifisches Problem der DDR, dass es über die politisch-ideologische Sphäre hinaus keine weiteren Bindungskräfte gegeben hat, die in Zeiten politisch-sozialer Krisen doch Stabilität und Zusammenhalt zwischen den Menschen hätten gewährleisten können. ln den anderen sowjetisch dominierten neuen Staaten nach 1945 gab es die immer vorgeordnete nationale Basislegitimität: man war erst Pole, Ungar oder Albaner und dann erst Sozialist.

Samstag, 11. Februar 2017

Die Kompetenz des Präsidenten


›Inkompetenz­kompensations­kompetenz‹ ist nach einem bekannten Wort des Philosophen Odo Marquard die Kompetenz des Philosophen. Daran gemessen müsste Donald Trump als der Philosoph unter den neueren amerikanischen Präsidenten durchgehen – sofern man davon absieht, dass die meisten von denen, die ihn der laufenden Inkompetenz bezichtigen, gewillt sind, ihm nichts durchgehen zu lassen, was auch nur entfernt den Anschein von Kompetenz erwecken könnte. The medium is the message. Dass, vermutlich aus gutem Grund, ein Vertreter der frisch ins Amt gewählten Regierung einem Gericht vorhält, die Kompetenz des Präsidenten anzuzweifeln, fügt dem Stand der Dinge bloß eine weitere Pointe hinzu. Auch Juristen sind erst einmal Zeitgenossen, deren Urteile, wie immer begründet, auf medial gefütterten Vor-Urteilen aufruhen.

Sonntag, 29. Januar 2017

Schwarzes Doppel


Zynismus ist die Kunst, anderen die eigenen Hintergedanken zur Last zu legen. – Wer hat das gesagt? Ich hab’s vergessen. Hätten Sie’s gewusst? Nein? Vergessen. Wichtig ist nur: die Kunst. Welche Kunst? Wenn Design die Kunst der Verpackung ist, dann haben die Mediendesigner den Medienschreibern das Hirn aus den Köpfen gezogen und führen es, als eine Art umgedrehten Skalp, auf ihren Portfolio-Seiten spazieren. Was sollen sie schreiben, die – mehr oder weniger – guten Schreiber, wenn alles, was sie schreiben, vorab so gut verpackt daherkommt, dass man es nur über die Zahl der generierten Klicks zu identifizieren vermag? Am besten nichts – und das geht nicht.

Donnerstag, 26. Januar 2017

Gescheitert


Was ist dran an dem Wort ›gescheitert‹? Warum fällt es so schwer, es auszusprechen oder gar hinzuschreiben angesichts der unerhörten Leichtigkeit des Aussprechens und Hinschreibens, deren medialer Zeuge zu sein man täglich gezwungen wird? Gehört es neuerdings zu den Unaussprechlichen? Der Rücktritt eines Parteivorsitzenden zum Beispiel ist keine geniale Tat, sondern das Eingeständnis eines Scheiterns. Was ist falsch daran, es schnörkellos zu konstatieren?

Samstag, 21. Januar 2017

Totes Rennen, dicker Hund


Ein Troll im Deutschen ist einer, der sich schleunigst zu trollen hat: »Troll dich!« Ein Reflexivtroll, sozusagen, das macht ihm draußen so schnell keiner nach. Überhaupt ist im Deutschen vieles reflexiv, was in anderen Sprachen geradeaus geht. Ob das nur auf die Sprache zutrifft, weiß keiner genau. Das bedeutet nicht, dass die Deutschen ein besonders geschmeidiges Volk wären, behüte: auch hier ist das Gegenteil der Fall. Warum das Gegenteil? Weil kein Teil ohne sein Gegenteil zum Aushalten wäre. Politiker z.B. wären unerträglich, würde ihnen nicht, etwa von Politikern aus der eigenen Partei, Paroli geboten – es geht aber auch, zumindest im Notfall, mit anderen oder, nun ja, mit den üblichen Aufgeregten.

Dienstag, 10. Januar 2017

Albtraum einer Kanzlerin

Dimitri Vojnov: Albtraum einer Kanzlerin

Kunst, in ihren schlagenden Momenten, hat es mit Leuten zu tun, die niemand kennt, solange sie nicht in diesen blinden Spiegeln auftauchen, als stammten sie aus dem Nirgendwo und wünschten sogleich dorthin zurückzukehren. Wenn Künstler sich mit bekannten Zeitgenossen beschäftigen, dann stellen sie aus: Der da, gleich neben der da, den kenne ich doch? Ach, der Name, vergessen, wohin? Also die hier kenne ich wirklich, das sind ja...! Was machen die da? Was haben sie überhaupt da zu suchen? – Der Albtraum einer regierenden Kanzlerin ist, wie Vojnov richtig, wenngleich ohne Worte, bemerkt, mit Vorgängern bevölkert, die ihre Bewährungsproben absolviert haben, ohne abzustürzen. Was mag das bedeuten? Wer deutet diese Gesichter? Wohin führt das? –

Mittwoch, 4. Januar 2017

Drückt der Schuh, so schreit der Wicht


Wenn erst alle übereinander herfallen, dann liegt der Zeitpunkt nicht fern, an dem alle über einen herfallen. Dies ist der Gang der Dinge oder der Lauf der Welt, gleichgültig, ob nach dem Peter-Prinzip oder nach dem Motto Haltet den Dieb verfahren wird. Das Peter-Prinzip genießt den Vorteil, dass es immer bereits in Kraft ist, bevor es sich, wie am Beispiel der Grünen gerade zu sehen, ein weiteres Opfer holt, das dann den angestauten Unmut von Amts- und Anmutsträger*innen auf sich ziehen darf. Der Satz Jeder ist seiner Unfähigkeit Schmied gilt ja nicht nur für diese Partei, er ist unerhört parteilos und liegt auch besagtem Motto zugrunde. Eine Bundeskanzlerin zum Beispiel, die zu lange im Amt verweilt und gerade daraus die Kraft für eine weitere Legislaturperiode schöpft, darf als geradezu klassischer Beleg für diese These gelten. Der Zeitpunkt, zu dem alle über sie herfallen werden, ist daher abzusehen ‒ und damit auch ihr Abschied von der politischen Bühne. Es folgt einer gewissen Logik, sie jetzt als Führerin der freien Welt auszurufen, wie von Seiten ihrer angelsächsischen Freunde geschehen, die zuviel Bares für einen verlorenen Wahlkampf ausgegeben haben, um nicht wenigstens einen Nebeneffekt einfahren zu wollen. Das amerikanische Interregnum ist auf Tage beschränkt, da muss alles schneller  vonstatten gehen, auch der Missgriff. Immerhin ist die deutsche Geschichte an Missgriffen reich und die Konsequenzen sind hierzulande sichtbarer als andernorts, man muss nur einmal durchs Brandenburger Tor spazieren, am besten in beide Richtungen.