Zur Ökonomie der Illusion


Die Ökonomien der Illusion und des Vergessens sind eins.

Samstag, 30. Januar 2016

Angstbild

Das Angstbild des Fremden entsteht nicht auf Fernreisen. Es entsteht dort, wo Ferne unvermittelt in Nähe umschlägt. Genau gesagt, es entsteht an Stellen, an denen ein Kontakt misslingt. Das ist überall der Fall, wo keine passende Kulturtechnik bereitsteht, um eine Wahrnehmung oder einen Konflikt rechtzeitig zu entschärfen. So etwas kann zu Hause, in der gewohnten Umgebung, genausogut passieren wie in exotischen Ländern. Und da zeigt sich bereits das Problem: schließlich ist kein Land, keine Weltgegend per se ›exotisch‹. Erst das Empfinden, in der Fremde zu sein, erzeugt den touristischen Reiz – sonst könnte man auch gleich zu Hause bleiben und sich die Welt der Anderen auf dem Bildschirm betrachten.
Ohne die latente Drohung, die von allem Fremden ausgeht, wäre das Exotische bloß pittoresk. Die gängigen touristischen Standards, ohne die ein normaler Konsument nicht auf Reisen geht, dienen, neben der Bequemlichkeit, bekanntlich der Dosierung – zwar darf das Bedrohliche nicht ganz weggehen, aber es darf auch keine Macht über den Kunden bekommen. Andernfalls reagiert er verschreckt und will nach Hause. Spuren fremder Gewalt sind eine Erfahrung, die das eigene Leben bereichert, doch ein Attentat auf ein fünfzig Kilometer entferntes Hotel – und das Land kann ihm fürs erste oder für immer gestohlen bleiben.
So ist der Mensch, soweit er die Wohlfahrtszone bevölkert, es wäre vergebliche Mühe, ihm diesen und vergleichbare Reflexe ausreden zu wollen. Überhaupt kommt das Reden rasch an seine Grenzen, sobald Nähe und Ferne die Plätze tauschen oder zu tauschen scheinen (was in einem Bereich, in dem ohnehin alles scheint, keinen Unterschied macht). Wer wieder nach Hause will und bemerkt, dass in seiner Wohnung Licht brennt, verhält sich leicht panisch, jedenfalls dann, wenn er sicher ist, es vor der Abreise gelöscht zu haben. Soll heißen: Erzwungene Nähe baut keine Ängste ab, sondern schürt sie. Das gibt z.B. dem Gastrecht seine ambivalenten Züge. Es verhindert den ersten Zusammenprall, aber nicht die kleinen Zusammenstöße, die leicht in eine große Konfrontation führen können, falls nicht immer wieder Wohlmeinende deeskalierend zur Stelle sind. Doch Wohlmeinen allein reicht nicht weit. Man kann die Bevölkerung eines Landes ohne weiteres in Schrecken versetzen (›traumatisieren‹ für diejenigen, denen alles zum Trauma wird), indem man das Recht aller Menschen deklariert, sich niederzulassen, wo immer es ihnen gefällt, und der Vorhut derer, die dieses Recht für sich beanspruchen, bis zu seiner völligen Einlösung das eigene Staatsgebiet zur Verfügung stellt. Daher ist, wo sich Bilder der Flucht und der unkontrollierten Einwanderung vermischen, Gefahr in Verzug. Eine Regierung, die sich nicht mit den von ihr Regierten entzweien will, ist gut beraten, dieser Vermengung beizeiten entgegenzutreten, statt sie willentlich zu begünstigen und die Kollateralschäden Polizei und Justiz zu überantworten.
Wie ›interkulturell Tätige‹ wissen, wirkt der Topos der eindringenden Fremde auch dort, wo das Fremde zu Hause ist und gelassen den eigenen Regeln folgt – nicht gleich, nicht in der Euphorie der ersten Bekanntschaft, aber doch, auf mittlere Sicht gesprochen, ›von jetzt auf gleich‹, sprich: im Umschlag, der irgendwann erfolgt und kaum reparable Verwerfungen der Psyche zur Folge hat, falls nicht ein sonniges Gemüt oder die rechtzeitige Abreise das Schlimmste verhindert. Therapie soll, wie man hört, helfen und Hilfe tut not, aber sie wird auch schnell ein Teil des Problems, denn sie verschärft den Eingriff, sie bleibt ein befremdliches Element, sie ist selbst ein Stück Fremde, dem man sich nolens volens ausliefern muss.
Auf heimischem Grund und Boden, das heißt, in einem Raum, den man ohne Fremdheitsgefühle bewohnt, manifestiert sich das massenhafte Auftauchen Fremder als Gefahr. Die Angst, nie mehr ins Eigene zurückkehren zu können, weil es dauerhaft besetzt und verändert wurde, führt zu Blockaden, die gerade jene Arten von produktiver Veränderung aussetzen, aus denen das selbstbestimmte Leben besteht. Nicht umsonst greift der Terror nach Ländern, die sich dem Diktat des Fremdenverkehrs anschmiegen. Auf diesem Auge ist der Massentourismus, der von obszönen Differenzen der Kaufkraft lebt, blind. Jedenfalls wird den Naiven, die Jahr für Jahr die Jets besteigen, um sich die Erde untertan zu machen, genügend Sand in die Augen gestreut und ihnen gehen die Augen über, sobald der Strom sich umkehrt und der im Urlaub vernaschte Boy mit ein paar müßigen Kumpels nachts an der U-Bahnstation lauert, um sich zu holen, was man ihm, wie er, nicht ganz grundlos, glaubt, bislang vorenthalten hat. Massenmigration ist die dunkle Seite des globalen Tourismus, die denen, die da kommen, nicht so dunkel erscheint. Denn sie wissen nicht, was sie erwartet – das gilt für beide Seiten, so oder so.

Dienstag, 26. Januar 2016

Drachensaat

Gegen die Menschenmeister vom Potomac und das von ihnen über die Menschheit verhängte grand design verspricht die Kandidatur des ›armen Reichen‹ (Trump) eine Atempause; viele durch Dauerkrieg und gesellschaftlichen Abstieg Gebeutelte verstehen diese Botschaft als frohe – nicht so der Weserkurier und mit ihm die Extra-Klasse der Weltmedien, die es vorzieht, im Kandidaten den Clown zu sehen und sich, standhaft oder nicht, weigert, dem Kandidaten im Clown Respekt zu erweisen.
Dabei mangelt es nicht an Erkenntnis. Gleich den anderen ist auch diese Kampagne eingespeist und analysiert. Was von den Analysen die Öffentlichkeit erreicht, folgt, abgesehen vom immer präsenten Parteikalkül, der Logik der Unterhaltung. Die vulgär-populären Züge der Show wurden ins Bizarre verzerrt, mit Häme übergossen und unter fleißiger Zuhilfenahme des Horrorworts ›Populismus‹ dämonisiert. Und siehe da, es hilft dem Kandidaten. In dieser Phase ist sein einziger wirklicher Gegner der Übermut, die wachsende Überzeugung, feuerfest zu sein. So etwas gehört sich nicht, schon gar nicht für einen Clown, es reizt den Zorn der als Wegbegleiter dringend benötigten Frommen. Und es geschehen Zeichen und Wunder: Das Heer der Unfrommen, welche um ihre diversen Süppchen fürchten, verschanzt sich (nur dies eine Mal, versteht sich!) hinter ihnen wie Maria Magdalena hinter Sankt Georg, – beides Heilige, aber naturalmente, man versteht sich, unterschiedlich situiert.
Umso sprechender tritt das subversive Antiheldentum des Kandidaten hervor. Ein paar Jahrzehnte früher hätte es die linke Kulturkritik fasziniert und vermutlich begeistert – als Karneval der Wörter, der den Standards seriöser Rede, wie sie von einem Präsidentschafts-Anwärter erwartet wird, ein ums andere Mal entwischt. Heute betrachtet man es, nicht ohne Grund, als getreuen Spiegel all der aufgebrachten Tiraden, die dem gebildeten Zweifler aus dem Höllenspektakel der sozialen Medien entgegenschallen. Kein Zweifel, das Modell zeitigt Wirkung: Es zwingt die Distinguierten, sich ins Getümmel zu stürzen und keine Überzeichnung auszulassen, von der man annehmen darf, dass die Hass-Gemeinde draußen im medialen Irgendwo sie frenetisch aufnehmen wird. Dieses Irgendwo, das überall die Politik bestimmt und nur durch Sprachgrenzen minimal eingehegt wird, ist der eigentliche Held dieser Kämpfe: ein Schlachtfeld, das unter dem Tritt der Akteure brodelt und stöhnt und den einen oder anderen von ihnen verschlingt, ohne dass er bekommen hätte, wonach es das Wahlvolk so stürmisch verlangt – eine faire Chance.



Montag, 25. Januar 2016

Erpresste Versöhnung

Erpresste Versöhnung hieß der Titel eines Aufsatzes, den der Frankfurter Sozialphilosoph Theodor W. Adorno 1958 veröffentlichte – eine brillante Polemik gegen den marxistischen Kulturphilosophen und Literaturkritiker Georg Lukàcs, in der das Recht der Kunst (und selbstredend der Literatur) als Aufgabe festgeschrieben wird, sich den systemfrommen Weltbeglückungs-Szenarien der Parteidenker zu entziehen und sowohl Brüche als auch Widersprüche in der zeitgenössischen Praxis als das stehenzulassen, was sie sind: als Hindernisse, an denen nicht nur das Glücksbegehren des Einzelnen, sondern auch die politisch-gesellschaftliche Formel vom richtigen Weg, den es um einer welthistorischen Aufgabe wegen konsequent fortzusetzen gelte, zuschanden wird. Von diesem Aufsatz zieht sich eine Spur bis zur heutigen Kunst und ihrem hier und da gelegentlich aufblitzenden Ethos, keiner Ideologie dienstbar zu sein und keine erfahrene Gewalt, kein Leid zu verharmlosen oder zu verschweigen um einer vorgeschobenen oder geglaubten oder propagierten Sache willen. Gegen die Verleumdungen und Verdächtigungen der Gesinnungsspezialisten wurde hier dem Denken der Differenz eine Gasse gebahnt, das darauf besteht, dass jedes Handeln konkret sei und jeder noch so humane Gedanke über eine spezifische Reichweite verfüge, außerhalb derer er sich rasch in sein Gegenteil verkehrt – Folgen inklusive.
Die Kunst hat in den heutigen Krisen nichts zu sagen, sie darf aber apportieren. Das menschliche Leid hat insistierendere Sachwalter bekommen, die argwöhnisch jeden Versuch beäugen, ihre Kompetenz zu beschneiden. Der Produktion von Leid hat es nicht geschadet, im Gegenteil: diese Ressource sprudelt so reichlich wie eh und je und wer immer sich an ihr bedienen möchte, darf damit rechnen, dass irgendwo ein Fond bereitsteht (oder bereitgestellt wird), auf den sich zugreifen lässt, vorausgesetzt, man ist gut vernetzt und die Parameter (sprich: die involvierten Interessen) stimmen. Kein Zweifel: hier ist viel Idealismus im Spiel, dessen Kehrseite, wie immer, die Betroffenen früher oder später erfahren, wobei Zahl und Klasse der Opfer stark variieren. Auch Hilfe kann Verhältnisse schaffen oder zementieren helfen, gegen deren Auswirkungen sie sich wendet: zwischen Hilfe und Abhilfe klafft ein ähnlicher Abstand wie der zwischen gut gemeint und gut gedacht. Dabei ist vom Abgrund zwischen Reden und Handeln, Handeln und Behandeltwerden, Handeln und Misshandeln, Praxis und Praktiken, Hilfe und Heuchelei, Beistand und Betrug, selbstloser Assistenz und lautloser Vorteilsbeschaffung noch nicht einmal die Rede. Sobald irgendwo in der Welt der Mächtigen von aufzulegenden Hilfsprogrammen gesprochen wird, um einer Regierung Luft zu verschaffen, macht sich die Korruptionsforschung bereit – sie kennt ihre Pappenheimer. Das alles wurde tausendmal an einschlägigen Fällen bedacht und beredet, die – wenigstens oberflächliche – Kenntnis der Mechanismen gehört zum zivilisatorischen Grundbestand. Wer hier leugnet, der leugnet aus Gründen, sei es der Psyche, sei es des Profils. Doch besitzt der Idealismus nicht nur eine Kehrseite, sondern auch, sagen wir, eine Stirn. Recht so, könnte man meinen, wer dem Unheil steuern will, der muss ihm zu allererst die Stirn bieten. Kraft, hinter der ein Verstand steht, ist eine kostbare Erscheinung in dieser Welt, vor allem, weil man den Verstand nicht so leicht zu Gesicht bekommt, daher muss die Stirn, als pars pro toto, nicht selten für ihn einstehen, ohne mit den benötigten Mitteln versehen zu sein.
Was man bei Menschen mutmaßen muss, das lässt sich gelegentlich an Gebäuden ablesen wie z.B. der Dresdner Semper-Oper, deren Betreiber gegenwärtig die Klassiker fleddern, um Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Ein Unterfangen, das vor allem geeignet erscheint, Fremde zu erschrecken, die sich, nicht ganz zu Unrecht, im Vorüberschlendern angesichts des digitalen Zitatgewitters zwangsläufig fragen müssen, was von einem Land wohl zu halten ist, zu dessen Willkommenskultur es gehört, seine Bürger öffentlich anzusäuseln, sie sollten, sobald Ausländer anwesend sind, doch gefälligst die Füße vom Tisch nehmen und sich halbwegs zivilisiert verhalten – bei Zuwiderhandlung droht das Auswendiglernen einer Figaro-Arie plus Donizetti-Karzer. Unter uns Operngängern, ganz im Ernst: Will man partout demonstrieren, wie eigentümlich schlicht manche ererbten Klassiker-Sentenzen wirken, sobald man sie den Unbilden der umgebenden Wirklichkeit aussetzt? Will man, wie schon häufiger in der Vergangenheit (und immer vergeblich), sich endlich jene robuste Klientel erschließen, die zwischen Bühnenhandlung und outdoor-Auseinandersetzung nicht zu unterscheiden vermag? Will man überhaupt etwas oder fügt man sich einem verborgenen Impuls, der stets das Gute will und sich im Schmuck innerstädtischer Parolen klammheimlich der alten Zeiten erinnert? Wie dem auch sei, der Gesellschaft erweist man keinen Gefallen, gibt man ihr in dieser bescheidenen Form zu verstehen, wie überflüssig der gesangliche Aufwand im Innern des Musentempels eigentlich ist, da sich die Quintessenz offenbar so bequem außen anschreiben lässt. Denn die Gesellschaft, gut oder ungut, weiß es längst und ihre Kulturfeindschaft erhält nur immer neue Nahrung, wenn sie, ohne weiter in die Sache involviert zu sein, mit ansehen muss, wie die ›Verschwendung von Steuergeldern‹ mit der Verschwendung von guten Worten erkauft wird.
Immerhin bleibt, was die Dresdner Regie hier treibt, Oper – oder, zurückhaltender interpretiert, Straßentheater, bei dem niemand weiß, welche Pointe am Ende sitzt (oder nachsitzen wird). Nimmt man die in Sichtweite bei Pegida gehaltenen Reden als den anderen Teil hinzu, dann bleibt von der alten Idee der Kunst als ›Einspruch‹ nicht viel zurück. Jenseits aller Parolen hat sich der Bürgerprotest die Straßen und Plätze der Republik erobert und attackiert von ihnen aus die Herzen und Hirne der Mitmenschen. In dieser Hinsicht besteht zwischen Stuttgart gestern und Dresden heute kein Unterschied. Was die subventionierte Kunst angeht, so hockt sie als Krähe, die der anderen kein Auge aushackt, am First und ringt um Wahrnehmung. Die wird sie nicht bekommen, solange sie nicht die eigene schärft. Vielleicht müssen sie Karl Kraus in Dresden erst singen lernen, um zu begreifen, was eine panisch gewordene Politik, der, bei Strafe der Folgekosten, die europäischen Partner abhanden gekommen sind, gerade erfährt: Wer die Berichte beherrscht, kümmert sich selten um die Erstattung. Das gilt in vielerlei Hinsicht, vor allem aber in unterschiedliche Richtungen. Wahrheit ist keine Einbahnstraße. 



Montag, 18. Januar 2016

Die veralberte Nation

Özdemirs ›Biodeutscher‹, das wissen seine Liebhaber – man findet sie in allen politischen Richtungen, was eine Menge aussagt –, gilt als eine aussterbende Spezies, der man den welthistorischen Abgang ein wenig erleichtern muss, schließlich erdröhnte der Boden Europas unter dem Marschtritt seiner Kolonnen zu Zeiten lauter, als es Anstand und gute Sitte, nicht zu reden von Moral und Menschenwürde, erlaubten. Günter Grass, einst selbst der Gestiefelten einer, hat den Peak German in einem frühen Buch mit dem Titel Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus festgehalten. Es handelt von einem Volk, das sich – anstelle des nächstliegenden – zu viele Gedanken macht. Dieses Volk muss wohl seit längerem ausgestorben sein. Aber vielleicht war die Hypothese auch schon im Ansatz falsch und gehörte bloß zu den müßigen Hervorbringungen einer Klasse, die sich solange die falschen Gedanken macht, bis sie von ihnen gemacht wird. Nein, damit muss nicht die vielgescholtene classe politica, es kann auch die klassenlose der Intellektuellen gemeint sein, die sich bekanntlich so lange mit der Politik gemein macht, bis sie unter der Last der übernommenen Aufträge zusammenbricht, denn alles ist Auftrag, wie schon der dezidierte Nichtintellektuelle Rilke wusste.
Grass schrieb seine überflüssigen Gedanken zu einem Zeitpunkt auf, zu dem die offizielle Politik noch dem Altherrensatz Kinder werden immer geboren anhing und von keiner Alterungsstatistik etwas zu wissen vorgab. Auch das ist bemerkenswert, die verächtliche Vokabel Wurfprämie, vom älteren Lambsdorff der Volksseele eingeätzt, muss wohl als Vorläufer der neueren Herdprämie gelten, frauenverachtend beide, nur dass die heutige gerade den Typus Frauen zur Zustimmung nötigt, der damals mit überflüssigen Gedanken schwanger ging und den Wirtschaftsgrafen mit fortschrittlicher Geringschätzung strafte. Die Biodeutsche – denn um sie ging und geht es – durfte sich ein paar Jahre lang unter anderem dem beschwingten Gedanken hingeben, es könne zumindest dem Boden, der Luft, dem Wasser und der Kröten-Population guttun, wenn (unter dem Eindruck von weltweiten Kriegen, Umweltzerstörung und globaler Bevölkerungsexplosion) der heimische Besiedelungsdruck eine Zeitlang nachließe. Eine allzu grüne Utopie, folgt man den Verlautbarungen der Partei, die sich selbst Die Grünen nennt und die einmal als Partei der forcierten Einwanderung im Schlepptau der Kanzlerin in die Geschichte eingehen wird. Den Biodeutschen wird nunmehr geraten, Platz zu machen, in ihrem ureigenen Interesse, das wohl hauptsächlich darin besteht, das Überleben eines Staates und einer Wirtschaft zu sichern, deren Dynamik dringend der Entkoppelung niedriger Geburtenraten von ihren sozialen Folgeerscheinungen bedarf.
Hübscher Rat. Niemand sollte die Untertöne überhören, die darin mitschwingen. Ein allseits gefürchteter Ordnungssinn ruft zur Raison. Wann hätte Biodeutschland sich dem Ruf von Staat und Wirtschaft jemals verschlossen? Sein Leumund steht und fällt mit dieser ererbten, geächteten, zur Selbstentwürdigung tendierenden Staatsfrömmigkeit, ergänzt durch eine durch nichts zu verdrängende Arbeitsbesessenheit, die darauf besteht, dass keine auffindbare Arbeit ungetan bleibt, auf dass sie nicht aushäusig werde und sich ihre ›Kräfte‹ in anderen Weltgegenden sucht. An seiner Hässlichkeit werdet ihr es erkennen. Das klingt gut, das klingt noch immer sehr gut, für Daheimgebliebene wie für Zugewanderte, damit lässt sich arbeiten. Dieses Land ist nicht schlecht. Ordentlich peupliert, lässt es sich in ihm aushalten. Die angedachte Rente mit Siebzig wird dafür sorgen, dass der dumme Gedanke, im Leben vielleicht etwas versäumt und, wie es in einem vergessenen Traditionsbuch heißt, das Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht weggegeben zu haben, auch die letzten klaren Momente im irdischen Beschaffungsdasein seiner Bewohner nicht wirklich verdunkelt. Denn zweifellos gehört es zum Erstgeburtsrecht des Menschen, Kinder in die Welt zu setzen und aufzuziehen und nicht, sich das eine wie das andere von einer primitiven Malocher-Ideologie wegspitzeln zu lassen, vorwiegend  um die Taschen der Wenigen zu füllen, die, ganz ohne Scham und Scharia, sich auch in den Ferienparadiesen dieser Welt bedeckt zu halten wissen.

Sonntag, 17. Januar 2016

Loser Vogel Selbsthass

Man muss ein Volk schon mögen – auch in seinen närrischen Elementen –, um nicht von den Unter- und Zwischentönen der in seinem Magen und angrenzenden Organen geführten Reden irritiert oder sogar verstört zu werden. Die enge Kohabitation zwischen Volksverächtern und Volksvertretern führt gelegentlich zu Hassdelirien, welche die hier und da zu hörende Rede vom deutschen Selbsthass zwar verständlich, doch deshalb nicht wahrer werden lassen. Nein, sie hassen sich nicht, die guten Deutschen, sie hassen nur die Deutschen und fühlen sich selbst dabei irgendwie wahrer, auch hochherziger, als es die Sache zulässt. Der Unterschied mag klein wirken, aber er sollte deshalb nicht weniger beachtet werden. Im Grunde ist das einzig Beachtenswerte in all dieser Hasserei die doppelte Selbstverleugnung – hassenswert sind immer die anderen, wie tief man sich selbst auch ›schuldig‹ fühlt. Fühlt man sich so? Erstaunlich wäre es angesichts der Gesichtslosigkeit jener verhassten anderen, denn selbstverständlich geht kaum einer so weit, den Nachbarn oder die Frau in der U-Bahn links für die Vergangenheit oder die Weltverhältnisse verantwortlich zu machen, das wäre ja pathologisch und überdies ungerecht, weil man gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Bleibt nur das ›Volk‹ – eine Konstruktion, wie man aus den Küchen der Kulturwissenschaft erfährt. Sie hassen also eine Konstruktion, die sich zweimal im Jahr auf Mallorca und an ähnlichen Orten des Unbehagens materialisiert. Viel Spaß, könnte man dazu sagen, besser als Flucht und Vertreibung trifft sich das allemal. Man trifft sich, man verachtet einander von Herzen und irgendwo zwitschert eine Stimme: Der Selbsthass macht uns stark. Wer da nicht betreten schweigt, der kennt das Fremdschämen nicht, er hat es nie geübt.
Jemand könnte auf den Gedanken verfallen, dass die Integration der neuen Deutschen durch diesen Mechanismus nicht unwesentlich zu erleichtern wäre, vorausgesetzt, es fände sich eine Ideologie, die den Hassprozess geschickt in die gewünschte Richtung zu steuern erlaubt. Einen großen Schritt in diese Richtung hat irgendwann der Grünen-Vorsitzende Özdemir (ihm zur Seite die nimmermüde taz) getan, als er das Kraftwort ›Biodeutsche‹ aus der Schmuddelecke des Rassenkampfs in die gepflegte bürgerliche Diskurskultur einspeiste. Und es ist doch wahr: Wer, wenn nicht die Grünen, könnte in dieser Sprache vom Starkwerden träumen? Wenn einer ist, was er isst, dann sollte der häufige Besuch von Bioläden umstandslos eine Terracotta-Armee von Biodeutschen in die Welt zaubern, vor der auch die stärksten Terrorgeschwader in den globalen Konfliktherden irgendwann freiwillig in die Knie gehen. Weit gefehlt! Wie die Sprache nun einmal spielt, schieben sich andere Deutungen nach vorn. Unmöglich, bei jenem Ausdruck nicht an bereits verbal durch urdeutsche Etikettierung hervorstechende Skinheads und Hooligans zu denken, die manchen Polizeieinsatz zur Sternstunde der Republik veredelten und weiter veredeln werden! Ein kleiner Programmfehler nur, aber ein möglicherweise entscheidender, der außer acht lässt, dass auf diesem assoziativen Umweg eine Bevölkerungsgruppe dingfest gemacht wird, die sich bis vor wenigen Jahren ohne Wenn und Aber als das Staatsvolk der Republik betrachtete und von auswärtigen Beobachtern noch immer dafür gehalten wird, mangels angemessener Identifikatoren jedoch (es sei denn, man nähme den Negativindikator ›ohne migrantischen Hintergrund‹ dafür, der aber aus historischen und sachlichen Gründen als ungenau und sogar irreführend ausscheidet) den Geist aufgegeben hat: ein Ausdruck, der wörtlich zu nehmen ist, da der oben zitierte Ungeist aus der Flasche nichts anderes als seine übriggebliebene Hohlform füllt. Füllt er sie denn? Füllt er sie wirklich? Fragen ließe sich immerhin. Ein Staatsvolk: Wo kommt es her, wie fühlt es sich an, wozu braucht man dergleichen und, Frage aller Fragen: Wie wird man, nach dem komischen Beamtenwort, Angehöriger dieser Spezies? Fest steht: weder durch Bio-Quark, nach- wie breitgetreten, noch durch das Grölen verbotener Strophen. Wie dann? Wie denn dann?

Donnerstag, 14. Januar 2016

Die Anpacker

Europas Hingabe an den Gedanken grenzenloser Machbarkeit beherrscht die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und sie erzeugt jenen Ozean des Grauens und der Vernichtung, auf den alle, die ihr lebend entrinnen konnten, wenn überhaupt, dann  nur mit dem unverbrüchlichen Entschluss »Nie wieder!« zurückblicken konnten. Alle? Offenbar nicht, die Spur der alten Hybris hüpft und zuckt über den Kontinent, der sich selbst der alte nennt, man muss nur genau hinsehen, um die Rinnsale eines Wahns, der sich im Großen und Ganzen verlaufen zu haben schien, in den Denkschulen und Denkroutinen neuer Eliten glitzern zu sehen.
Lange Zeit hatte dasselbe Europa, global gesprochen, nur wenig zu sagen, so musste sich niemand ernsthaft Sorgen um seine Geistesverfassung machen. Nach dem serbischen Vorspiel bedurfte es des Paukenschlags vom elften September 2001, um es, vorerst als getreuen Sancho Pansa an der Seite des großen Don, wieder erwachen zu lassen und Blitze zu schleudern: Schläge aus der Luft für alle, die sich der verhängten Weltordnung nicht fügen wollen und nicht über die Waffenarsenale verfügen, die nötig wären, um dergleichen wirksam abzuwehren oder sterbend den anderen auf den Tod zu treffen.
Nun ja, sie waren und sind dort, wo sie fallen, keineswegs ›Luftschläge‹, sondern tödliche Attacken auf tödliche Feinde oder feiernde Verwandte, auch Passanten leben gefährlich, sobald der Befreier sich freimacht. Sie greifen tief in das Leben der Staaten ein, der eine oder andere zerbricht darunter, tiefer jedoch in das Leben der Einzelnen, fast so tief oder tiefer als... Es wollen einem viele Kandidaten einfallen, darunter die prahlerisch bemühte Willkommenskultur im stolzen Aufnahmeland, zerborsten ›unter dem Eindruck der Ereignisse‹ einer Nacht, nachdem sie bereits vorher auf tönernen Füßen stand, die nun massenhaft Geflohene (um das Unwort ›Flüchtlinge‹ zu vermeiden) als kulturfremden Bodensatz dem Misstrauen alarmierter Bevölkerungen aushändigt. Nein, Europa wird ›dort‹ keine Ordnung schaffen, als Sancho nicht und nicht als Don, es sei denn eine, die, wie in Afghanistan oder im Irak gesehen, zerfällt, sobald der Aufpasser seine ›Kräfte‹ abzieht. Es wird auch ›hier‹ keine Ordnung schaffen, sondern die Unordnung mehren, sobald es versucht, den arbeits- und sittsamen Rahm fremder Länder abzuschöpfen, bloß weil seine eigene hochmotivierte Bevölkerung sich außerstande sieht, die Sache mit dem Nachwuchs zu regeln, und ihre Renten in Gefahr wähnt. Die Erbitterung der Menschen lässt sich nicht grenzenlos steigern, ohne dass sie irgendwann jede Grenze überschritte.  Nimm einem Menschen die Herkunft und du machst aus ihm eine Waffe. Fragt sich, in wessen Hand.
Jener Ozean bekommt, leise und lauter rauschend, wieder Zulauf und wen er noch nicht erfasst hat, der schaut lieber nicht hin. Aus dem »Nie wieder!« ist ein Zirpen geworden. Gleich daneben, wo es im Chor erschallt, darf der Betrachter relativ sicher sein: Es stehen weitere Metzeleien an. Das kennt die Welt und sie erinnert sich an die Ergebnisse. Die Welt ist nicht dumm. Sie weiß auch die Folgen zu würdigen, die ein aus heiterem Himmel erzwungener Systemwechsel mit sich bringt, durch den gewisse Leute über Menschen mit einem prallen Herkommen eine neue Kultur des Miteinander verhängen möchten. Wer Kultur anordnet, daheim oder in der Fremde, der kann lange warten. Wer aber den Abgrund aus Hass öffnet, der wird, auf dass ihm das Warten nicht zu lang werde, früher oder später von ihm verschlungen – es sei denn, er sitzt unerreichbar auf goldenen Stühlen und speist vergoldete Speisen von goldenen Tellern. Dann immerhin bleibt er, ein neuer Midas, womöglich der Nachwelt erhalten – als Monument des Schreckens und der Selbstüberhebung, schauerlich anzusehen, vor allem nachts, wenn die Polizei zur Vorsicht rät und Fremdheitsgefühle dem Pflaster entsteigen, unter dem noch immer der Strand... Sie wissen schon, das ist eine lange Geschichte.